Meditation und Imagination für Kinder von Jennifer Schmit

Welche Vorteile haben Meditation und Imagination für Kinder und warum ist eine traumasensible Umsetzung empfehlenswert?

Meditation hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend an gesellschaftlichem Stellenwert gewonnen und wird heute nicht nur als spirituelle Praxis, sondern auch als effektives Werkzeug zur Förderung von mentaler Gesundheit und Wohlbefinden anerkannt. Ursprünglich tief in östlichen Philosophien und Religionen verwurzelt, hat sich Meditation in westlichen Kulturen etabliert und findet Anwendung in verschiedenen Bereichen. Die steigende Popularität von Achtsamkeitstechniken und Meditationsprogrammen spiegelt ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung von innerer Ruhe und emotionaler Resilienz in einer zunehmend hektischen und stressbeladenen Welt wider.

Die Wissenschaft zeigt unzählige Vorteile einer regelmäßigen Meditationspraxis, wie ein niedriges Level des Stresshormons Cortisol und ein sinkender Blutdruck[1] sowie ein Lindern von Entzündungen im Körper[2] und die Stärkung des Immunsystems[3]. Eine der bekanntesten und umfassendsten Meta-Analysen von Goyal et al. (2014)[4] zeigt sehr deutlich, dass Meditationstechniken signifikant zur Reduktion von Stressreaktionen im Körper beitragen können. Schon in jungen Jahren kann sich Stress anhand körperlicher Symptome bemerkbar machen. Meditation kann hier als Werkzeug genutzt werden, Kindern wohltuende Pausen von stressigen Reizen des Alltags zu gewähren. So zeigen Studien, dass eine regelmäßige Praxis dabei behilflich sein kann Einschlafprobleme oder Antriebslosigkeit sowie innere Unruhe oder Ängste zu lindern.[5]

Insgesamt können Meditationstechniken als ein bewehrtes Tool zur Regulationsmöglichkeit erachtet werden. So zeigt die Studie von Flook et al. (2024)[6], dass Achtsamkeitstraining wie in Form von Meditation eine effektive Methode sein kann, um sowohl kognitive als auch soziale/emotionale Fähigkeiten zu fördern.

  1. Verbesserung der exekutiven Funktionen: Die Teilnehmenden des Achtsamkeitstrainings zeigten signifikante Verbesserungen in Bereichen wie Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Arbeitsgedächtnis im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.
  2. Steigerung sozialer und emotionaler Fähigkeiten: Die Teilnehmenden berichteten über eine erhöhte emotionale Regulation, Empathie und soziale Interaktion, was auf eine positive Entwicklung ihrer sozialen und emotionalen Kompetenzen hinweist.
  3. Langfristige Effekte: Die positiven Veränderungen in den exekutiven Funktionen und sozialen/emotionalen Fähigkeiten blieben auch nach Abschluss des Trainings bestehen, was auf die Nachhaltigkeit der Effekte hindeutet.

    Meditation trägt somit nicht ausschließlich zu einem Entspannungseffekt bei, sondern ebenfalls zu einem gesteigerten Bewusstsein für den eigenen Körper, Geist und Gefühle. So können Kinder mittels meditativer Methoden in ihrer Fähigkeit gestärkt werden (Gefühls-)Zustände wahrzunehmen und zu benennen. Das frühe Wahrnehmen von Gefühlen kann dabei unterstützen automatische Reaktionsschleifen, wie aggressives Verhalten oder Dissoziieren, entgegenzuwirken und hegt das Potenzial das persönliche Handlungsrepertoire zu erweitern. Ein wichtiger Part spielt dabei die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und anzupassen. Das bedeutet, dass die Verbindungen zwischen den Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn gestärkt oder geschwächt werden können, je nachdem, wie wir lernen, Erfahrungen machen oder uns entwickeln. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es uns, neue Fähigkeiten zu erlernen, Erinnerungen zu bilden und uns von emotionalen Verletzungen zu erholen. Einfach gesagt: Neuroplastizität ist wie ein flexibles Netzwerk im Gehirn, das sich ständig verändert und anpasst, um uns bei unseren täglichen Herausforderungen zu unterstützen. Das Gehirn kann als stets aktive Baustelle betrachtet werden und jede Erfahrung wirkt sich auf diese Baustelle aus. Dabei differenziert das Gehirn nicht zwischen real erlebten Erfahrungen und solchen der eigenen Vorstellung. So kann die Arbeit mit inneren Bildern reale Empfindungen herstellen und nachhaltig integrieren.

    In der Arbeit mit Kindern bieten sich hierfür insbesondere meditative Fantasiereisen und Imaginationsübungen an. Gemeinsam können Traumwelten erbaut, gestaltet und mit allen Sinnen erforscht werden. Fantasiereisen können genutzt werden, um sichere Orte im Inneren zu erbauen oder Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen, die in Bezug auf konkrete Anliegen ein Perspektivwechsel oder Reframing ermöglichen. Fantasiereisen können auch die Gestalt von Abenteuerreisen annehmen, die, als sicherer und wertschätzender Lernraum, die Möglichkeit bieten Handlungsstrategien auszuprobieren. Fällt der Lösungsversuch, der in dieser imaginierten Situation gefunden wurde, positiv aus, wird vermehrt das Glückshormon Dopamin freigesetzt, was sich wiederrum stabilisierend auf die ausgewählte Handlungsstrategie sowie auf die eigene Selbstwirksamkeit auswirkt.[7] In meditativen Fantasiereisen zeigt sich somit die Chance neue Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen, das Handlungsspektrum von Kindern zu erweitern und einen ressourcenorientierten Blick zu fördern.

    Dabei müssen Meditationstechniken und Imaginationsübungen nicht zwangsläufig im Stillen oder im Liegen durchgeführt werden. Hingegen sollte stets darauf geachtet werden die Methoden möglichst an das Energielevel, an die Aufmerksamkeitsspanne und Bereitschaft des jeweiligen Kindes bzw. an die Gruppe anzupassen. Hierfür bietet es sich an, Elemente wie Atmung, Bewegung oder kreatives Arbeiten spielerisch einzubauen. Die Kopplung unterschiedlicher Reize trägt zudem dazu bei, dass Erfahrungen tiefgreifender integriert und Lernprozesse leichter vorangetrieben werden können. Dieses Vorgehen ist besonders bei Kindern mit traumatischen Erfahrungen empfehlenswert. Wie bisher veranschaulicht können Meditation und Imagination einen entlastenden, entspannenden und entwicklungsunterstützenden Effekt haben. Eine unbedachte Anwendung der Methoden kann für Kinder mit Traumata allerdings triggernd sein. Den Fokus auf das Innere oder Körperwahrnehmungen zu richten kann dazu führen, dass übererregte oder untererregte Zustände des Autonomen Nervensystems aktiviert werden.  So kann forciertes Meditieren in Stille und Bewegungslosigkeit beispielsweise die Neigung zum Dissoziieren bestärken. Ein traumasensibler Ansatz hingegen verfolgt das Ziel Hyperfokussierung auf Trigger sowie die Aktivierung und Dysregulation zu vermeiden. Bei traumasensiblen Meditations- und Imaginationsübungen steht stets im Vordergrund für Sicherheit zu sorgen und Retraumatisierung aktiv entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang benötigt die anleitende Person ein fundiertes Wissen über Trauma und seine komplexen Dynamiken und Folgen sowie die Fähigkeit Trauma und dessen Symptome erkennen und unterstützend damit umgehen zu können.

    Wenn du lernen möchtest, wie du Meditations- und Imaginationstechniken traumasensibel und spielerisch gestalten und umsetzen kannst, dann informiere dich doch gerne über die Online-Fortbildung „Traumasensible Meditation und Fantasiereisen mit Kindern“! 😊 https://traumastudio.de/seminare/

    Über die Autorin:

    Jennifer Schmit ist Rehabilitationswissenschaftlerin, Entspannungspädagogin mit dem Schwerpunkt auf traumasensibler Begleitung und WenDo-Trainerin. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in Gruppensettings und der Einzelfallbetreuung setzt sie sich engagiert dafür ein, Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit zu unterstützen.

    Sie ist überzeugt, dass es keine universelle Lösung für alle gibt. Daher legt sie großen Wert darauf, ein sicheres und fehlerfreundliches Lernumfeld zu schaffen, in dem Menschen ihre Stärken entdecken und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten entfalten können. Ihre angewandten Methoden basieren auf dem Ansatz, dass Geist und Körper eine untrennbare funktionale Einheit bilden, um potenzielle Veränderungen nachhaltig integrieren zu können.

    In ihrer Rolle als WenDo-Trainerin bietet Jennifer Kurse zur feministischen Selbstbehauptung und Selbstverteidigung an. Diese Kurse richten sich an Frauen und Mädchen (sowie FLINTA- und MINTA-Personen) und zielen darauf ab, ihnen zu einer gesunden Abgrenzungsfähigkeit und mehr Selbstbestimmung zu verhelfen.

    Literatur

    [1] David s. Black et al.: Mindfulness Meditation and Improvement in Sleep Quality and Daytime Impairment Among Older Adults With Sleep Disturbances. In: JAMA Intern Med. 175(4), April 2015, S. 494–501. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4407465/

    [2] Melissa Rosenkranz et al. : A comparison of mindfulness-based stress reduction and an active control in modulation of neurogenic inflammation. In: Brain, Behavior, and Immunity 27, Januar 2013, S. 174-184. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0889159112004758?via%3Dihub

    [3] Bruce Barrett et al.: Meditation or Exercise for Preventing Acute Respiratory Infection: A Randomized Controlled Trial. In: Ann Fam Med. 10(4), Juli 2012, S. 337–346.  https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3392293/

    [4] Goyal, M., Singh, S., Sibinga, E. M., Gould, N. F., Rowland-Seymour, A., Sharma, R., … & Haythornthwaite, J. A. (2014). Meditation programs for psychological stress and well-being: a systematic review and meta-analysis. JAMA internal medicine, 174(3), 357-368.

    [5] Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-based stress reduction (MBSR). Constructivism in the human sciences, 8(2), 73.

    Biegel, G. M., Brown, K. W., Shapiro, S. L., & Schubert, C. M. (2009). Mindfulness-based stress reduction for the treatment of adolescent psychiatric outpatients: A randomized clinical trial. Journal of consulting and clinical psychology, 77(5), 855.

    [6] Flook, L., Hirshberg, M. J., Gustafson, L., McGehee, C., Knoeppel, C., Tello, L. Y., … & Davidson, R. J. (2024). Mindfulness training enhances students’ executive functioning and social emotional skills. Applied Developmental Science, 1-20.

    [7] Hüther, G. (2022). Wie Embodiment neurobiologisch erklärt werden kann. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther & W. Tschacher (Hrsg.), Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. 4. überarb. Auflage (S. 85-110). Bern: Hogrefe.

    Biegel, G. M., Brown, K. W., Shapiro, S. L., & Schubert, C. M. (2009). Mindfulness-based stress reduction for the treatment of adolescent psychiatric outpatients: A randomized clinical trial. Journal of consulting and clinical psychology, 77(5), 855.

    Bruce Barrett et al.: Meditation or Exercise for Preventing Acute Respiratory Infection: A Randomized Controlled Trial. In: Ann Fam Med. 10(4), Juli 2012, S. 337–346.  https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3392293/

    David s. Black et al.: Mindfulness Meditation and Improvement in Sleep Quality and Daytime Impairment Among Older Adults With Sleep Disturbances. In: JAMA Intern Med. 175(4), April 2015, S. 494–501. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4407465/

    Goyal, M., Singh, S., Sibinga, E. M., Gould, N. F., Rowland-Seymour, A., Sharma, R., … & Haythornthwaite, J. A. (2014). Meditation programs for psychological stress and well-being: a systematic review and meta-analysis. JAMA internal medicine, 174(3), 357-368.

    Hüther, G. (2022). Wie Embodiment neurobiologisch erklärt werden kann. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther & W. Tschacher (Hrsg.), Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. 4. überarb. Auflage (S. 85-110). Bern: Hogrefe.

    Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-based stress reduction (MBSR). Constructivism in the human sciences, 8(2), 73.

    Melissa Rosenkranz et al. : A comparison of mindfulness-based stress reduction and an active control in modulation of neurogenic inflammation. In: Brain, Behavior, and Immunity 27, Januar 2013, S. 174-184. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0889159112004758?via%3Dihub

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