WenDo ist mehr als körperliche Selbstverteidigung

Feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung

WenDo ist ein pädagogisch-politisches Konzept für feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung, das auf Prävention und Empowerment von Frauen und weiblich gelesenen Personen zielt (vgl. Preis 2023: 9f). Während der Zweiten Frauen*bewegung in den 1970er und 1980er ist WenDo aus Kanada nach Deutschland gelangt. Seitdem wird WenDo im Rahmen „autonomer und alternativer Bildungsbewegungen als Hilfe-zur-Selbsthilfe-Konzept“ (Osdrowski 2014: 328) beständig weiterentwickelt. Im Jahr 2002 wurde der Bundesfachverband feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung BV FeSt e.V gegründet und wird als ein wichtiges bundesweites Netzwerk angesehen.

Beim WenDo-Konzept handelt es sich nicht um reine körperliche Selbstverteidigung. Das Präventionskonzept bezieht sich auf die persönliche, theoretische und die gesellschaftliche Ebene von Gewalt gegen Frauen* (vgl. Haupt-Scherer 2008: 38). Dabei wird auf eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden zurückgegriffen. Der Beweggrund eines solchen Konzeptes lag einerseits darin, dass Frauen* und Mädchen* neben körperlicher Gewalt, auch von „verbaler Anmache, entwürdigenden Blicken, sexualisierter Gewalt/sexuellem Missbrauch“ (Krudup 2013: 32) bedroht sind. Zudem haben die Gründerinnen festgestellt, dass Frauen* und Mädchen* allein durch ein gutes Techniktraining nicht unbedingt in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden oder sich befähigt fühlen, sich gegen Übergriffe zu verteidigen (vgl. Krudup 2013:  32).

Folglich ist ein ganzheitlicher Ansatz entstanden. Dieser entspricht der Idee des Embodiments[1], „dass sich Kognition und Körper wechselseitig beeinflussen“ (Haupt-Scherer 2008: 39), um einen nachhaltigen Lernprozess zu ermöglichen. Insofern werden neben Selbstverteidigungstechniken, körperorientierte und theaterpädagogische Methoden eingesetzt, um Eigenwahrnehmung zu fördern, selbstregulatorische Prozesse zu erwecken sowie eigene Handlungspotenziale zu entdecken, zu stärken und zu erweitern (vgl. Haupt-Scherer 2008: 40). Ebenso zielt das Methodenrepertoire darauf ab, das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden zu steigern (vgl. Osdrowski 2014: 328). WenDo verfolgt den Anspruch an der Lebenswelt der Teilnehmenden anzuknüpfen, sodass mittels diskursiver Praktiken Raum für persönliche Erfahrungen und deren Reflektion im Hinblick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse gegeben wird.

Parteillichkeit gegenüber FLINTA Personen

WenDo ist während der ersten Frauenbewegung als Angebot für Frauen entstanden. Inzwischen ist WenDo für alle FLINTA Personen zugänglich. FLINTA ist eine Sammelbezeichnung für Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, Trans- und agender Personen. Die WenDo-Trainer:innen vertreten eine parteiliche Position gegenüber FLINTA Personen und die Kursinhalte sind auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Dies zeigt sich innerhalb der Kurse u.a. in dem feministischen Schwerpunkt der Geschlechtsanalyse und -kritik sowie in einer feministischen und wertschätzenden Sprache gegenüber FLINTA Personen (vgl. Osdrowski 2014: 328). WenDo berücksichtigt die Heterogenität von FLINTA Personen. So wird die Notwendigkeit von individueller Förderung und abwechslungsreichen, flexiblen Arbeitsmethoden an den unterschiedlichen Aspekten der Teilnehmenden, wie kultureller Herkunft, Behinderung(en), Schichtzugehörigkeit, Bildungsniveau oder sexuelle Orientierung und Identität, begründet (vgl. Kuschel/Keller 2022: 7). Gemäß dem Menschenbild laut BV FeSt e.V., werden die Teilnehmenden in ihrer Einzigartigkeit als eigenständige Persönlichkeiten anerkannt und die Vielfalt und Unterschiede zwischen ihnen geschätzt (vgl. 2020: 6).

WenDo als ganzheitliche Stärkung

WenDo zielt im Rahmen eines feministischen Empowermentverständnisses auf eine ganzheitliche Stärkung der Teilnehmenden ab. Einerseits bedeutet das, das Erkennen und Erfahren des eigenen Handlungspotentials sowie die Stärkung der Handlungsfähigkeit, indem das Handlungsrepertoire im Hinblick auf „bedrohlich wahrgenommenen Situationen (beträchtlich) erweitert wird“ (Osdrowski 2008: 102). Auf der anderen Seite wird eine Steigerung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls benötigt, damit die Teilnehmenden darin bestärkt werden, für ihre Unversehrtheit einzutreten. Außerdem werden die Teilnehmenden zur Eigenverantwortung ermutigt. Der vierte Punkt der ganzheitlichen Stärkung besteht darin, die Teilnehmenden zu befähigen, mögliche Gewalt- und/oder Konfliktsituationen sowie Übergriffe frühzeitig erkennen zu können. Letztlich soll die Lebensqualität der Teilnehmenden insgesamt verbessert werden. Dazu gehört auch die Befähigung der Teilnehmenden, die „eigene Lebenslust zurückzugewinnen oder zu vergrößern“ (ebd.: 102). (vgl. Osdrowski 2008: 102)

WenDo, als Hilfe zur Selbsthilfe, versucht diesen emanzipatorischen Lernprozess ganzheitlich entlang drei Elemente zu erarbeiten. Die Herangehensweise und die Methodik erfolgen auf der körperlichen, der emotionalen sowie auf der psychischen Ebene. Der Schwerpunkt von WenDo-Kursen beinhaltet die Arbeit auf der körperlichen Ebene (vgl. Haupt-Scherer 2008: 39). Ein Teil der Körperarbeit erfolgt auf der Ebene der Selbstregulation im Hinblick auf Atmung und Entspannung, wie auch der direkten Verarbeitung von Aggression und Angst auf körperlicher Ebene (vgl. ebd.: 40). Der gezielte Einsatz von Körperhaltungen wird einerseits für selbstregulatorische Prozesse genutzt. Andererseits soll eine kritische Auseinandersetzung mit dem geschlechtsrollentypischen Selbstbild erfolgen, indem die eigene Kraft gespürt sowie körperliche Kräftigung erfolgen und körperliches Selbstbewusstsein eingeübt wird (ebd.: 40f). Selbstverteidigungstechniken sowie die Arbeit mit Atmung und Stimme tragen dazu bei (vgl. ebd.: 39). Außerdem wird mittels Körperarbeit anvisiert, die eigene Wahrnehmung zu schulen sowie die eigene Intuition wahrzunehmen und zu bestärken (vgl. Haupt-Scherer 2008: 40). Die Auseinandersetzung mit Körpersprache fördert diesen Prozess, so lernen die Teilnehmenden Körpersprache besser verstehen und einschätzen zu können, sowie die eigene Körpersprache gezielt einzusetzen (vgl. ebd.: 40). Der Spaßfaktor nimmt in WenDo-Kursen eine entscheidende Rolle ein, so besteht eine Vielfalt an Bewegungs- und Kooperationsspielen, die in Anschluss oft im Rahmen eines Austausches mit bestimmten Themen in Relation gesetzt und reflektiert werden (vgl. Krudup 2013: 33).

Haupt-Scherer schreibt, dass an der „Grenze von Körperarbeit zur psychischen Arbeit […] die Arbeit mit Wahrnehmung und Intuition“ (2008: 41) liege. Auf der emotionalen Ebene wird anhand gezielter Übungen und Rollenspielen die Wahrnehmung geschärft und die Intuition gestärkt, damit die Teilnehmenden lernen Körperempfindungen und Gefühle als wichtige Signale einzuordnen (vgl. ebd.: 41). Außerdem werden Strategien vermittelt, die beim „Umgang mit Gefühlen wie Angst, Panik, Ohnmacht, Wut, Ärger, Aggression und Hilflosigkeit“ (Krudup 2013: 33) behilflich sein können.

Die geistige bzw. psychische Ebene beinhaltet die theoretische und politische Arbeit in Hinblick auf geschlechtsspezifische Sozialisierung und Ohnmachtsgefühle (vgl. Krudup 2013: 33). In diesem Zusammenhang werden verschiedene Themenbereiche erforscht, darunter die Analyse von Gewalt und Traumatisierung, Mechanismen der Eskalation und Deeskalation sowie der Verkörperung von Gefühlen (vgl. Haupt-Scherer 2008: 41). Außerdem werden patriarchale Strukturen aus feministischer Sichtweise analysiert und rechtliche Rahmenbedingungen geklärt (vgl. ebd.: 41). Zusätzlich wird viel Raum für die

„persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Erziehung und Geschlechtsrollenentwicklung, den eigenen Stärken und Ressourcen, Schwächen und Grenzen, dem eigenen Recht, unverletzt durchs Leben zu gehen und der ethischen Frage, was ich dafür bereit bin einzusetzen und anderen zuzumuten“ (Haupt-Scherer 2008: 41),

eingeräumt. Obschon die Rede von drei Elementen ist, sind diese nicht leicht voneinander zu trennen. Die Herangehensweise ist inspiriert am Embodiment Ansatz, der zirkulär-kausalen Wechselwirkung von Körper und Geist (vgl. Haupt-Scherer 2008: 39). So beinhalten die Übungen und Einheiten meistens alle Elemente. 

Warum feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung?

WenDo verfolgt das Ziel, den Mythos aufzubrechen, als FLINTA Person „nicht in der Lage zu sein einen männlichen* Körper zu stoppen, der ihnen bedrohlich wird“ (Preis 2023: 41). Demgegenüber wird ein stärkendes Bild gesetzt, das bereits innerhalb der ersten Einheit von WenDo-Kursen mit der Methode des Brettes veranschaulicht wird. Das Brett ist wohl die bekannteste Übung im WenDo, bei der die Teilnehmenden ein Kiefernholzbrett entweder mit der Technik der Hammerfaust oder mit der des Hackentrittes durchschlagen dürfen (vgl. Haupt-Scherer 2008: 41). Bei der Übung geht es „weniger um Technik als um den Mut einer klaren Entscheidung und den klaren Willen, ´da durch zu kommen´“ (Haupt-Scherer 2008: 41).

Kelly und Sharp-Jeffs (2016) zeigen in ihrer Studie, dass solche Programme nicht nur die physischen Fähigkeiten der Teilnehmenden stärken, sondern auch ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstwirksamkeit erhöhen. So zeigt sich bei den Teilnehmenden auch ein gesteigertes Vertrauen in ihrer Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen und Unterstützung zu suchen (vgl. ebd.: 28f). Zudem sei eine Reduzierung von Angst und Opferbeschuldigungen sowie eine positivere Einstellung zum eigenen Körper zu beobachten (vgl. ebd.: 28f).

Außerdem trägt Feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung durch die gezielte Schulung der  eigenen Intuition dazu bei, dass „Übergriffe […] viel schneller als solche wahrgenommen und somit frühzeitig und mit ´geringem´ Aufwand abgewehrt bzw. vermieden werden“ (Osdrwoski 2014: 329) konnten, wie Teilnehmende aus WenDo-Kursen berichteten. Menschen besitzen eine natürliche Intuition für potenziell gefährliche Situationen, auch wenn sie diese nicht unbedingt begründen können. Durch das Erlernen, dass Frauen* „für jedes Nein einen rationalen Grund angeben müssen, wird diese Stimme immer leiser und verschwindet schließlich“ (Haupt-Scherer 2008: 41). Mit Rückgriff auf bestimmte Wahrnehmungs- und Regulationstechniken versucht WenDo die Teilnehmenden darin zu unterstützen, diese Intuition bzw. das Vertrauen darin wiederzugewinnen.

Neben körperorientierten, werden diskursive Methoden verwendet. Grigat (2021) spricht von der Methode des Erzählens als eine Art Subjektivierungspraxis in Form der „sprachlichen Einübung unterschiedlicher Sichten auf sich selbst“ (147). Ihre Studie zu dem eigenen Erleben von WenDo-Teilnehmenden zeigt, wie die Teilnehmenden durch das Sprechen über ihre Erfahrungen im WenDo-Kurs ihre eigenen Identitäten formten (vgl. Grigat 2021: 146). In der Studie von Grigat berichten die Teilnehmenden von der Herstellung eines Selbst, „das sich als befreit von den eigenen Zwängen und Anforderungen erlebt“ (2021: 147). Durch den sprachlichen Austausch und Reflexionspraktiken werden entsprechende Selbstentwürfe verfestigt, da im Gehirn durch die sprachliche Einübung neue neuronale Netzwerke gebildet werden (vgl. Grigat 2021: 146). Diese Untersuchung betont noch einmal, wie wichtig (Selbst-)Reflexionen im Prozess von Persönlichkeitsentwicklung ist und eröffnet zudem neue Ansätze zur wissenschaftlichen Betrachtung geschlechterreflexiver Gewaltprävention. So können die Methoden des Erzählens maßgeblich dazu beitragen, dass sich die Teilnehmenden als selbstwirksam und handlungsfähig wahrnehmen.

Außerdem schreibt Grigat (2021) in ihrer Studie, dass das Mitteilen von Erfolgsgeschichten positive Auswirkungen auf die anderen Teilnehmenden habe. So wird „über das ‚Sich-in-einer-anderen-Wiederfinden› […] ein Selbst eingeübt, das über das Erlebte einer anderen Anerkennung für das Eigene erfährt“ (Grigat 2021: 147). So versucht WenDo die dafür nötige Plattform der Artikulation darzustellen und zugleich eine kollektive Dimension von Empowerments zu fördern. 

In Welchen Situationen kann WenDo angewendet werden?

In Hinblick auf den Ursprung von WenDo, wurde WenDo entwickelt, um sich gegen körperliche Übergriffe verteidigen zu können. Das Konzept wird seitdem stets weiterentwickelt. Die Grundlage von WenDo sind Glaubenssätzen, die während der weiblichen Sozialisierung verinnerlicht werden und FLINTA Personen davon abhalten für ihre Bedürfnisse einzustehen oder Grenzen erkennen und setzen zu können. Insofern ist WenDo auf jegliche Situation übertragbar, in welcher Frauen bzw. FLINTA Personen Schwierigkeiten haben für sich selbst einzustehen.

Durch gezielte Übungen lernen die Teilnehmenden, ihre Körpersprache bewusst einzusetzen und ihre Stimme kraftvoll zu nutzen. Dies hilft ihnen beispielsweise, in Gesprächen klarer aufzutreten sowie Bedürfnisse und Grenzen deutlich zu kommunizieren. Darüber hinaus werden Kommunikationsfähigkeiten trainiert, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und konstruktiv anzugehen. Somit können WenDo-Techniken ebenfalls im beruflichen Umfeld und persönlichen Beziehungen von Nutzen sein.

Im Vordergrund steht stets, den Teilnehmenden die Chance zu eröffnen, neue Wege in ihrer persönlichen Grenzsetzung auszuprobieren.

Dabei wird auf folgenden Dreischritt zurückgegriffen:

  • Wo ist meine Grenze?
  • Was ist mein Ziel?
  • Mit welchen Mitteln kann ich dieses Ziel erreichen?

Quellen:

[1] Laut der Definition von Tschacher (2022) wird unter Embodiment oder auch Verkörperung verstanden, „dass der Geist (als: Verstand, Denken, das kognitive System, die Psyche) mitsamt seinem Organ, dem Gehirn, immer in Bezug zum gesamten Körper steht. Geist/Gehirn und Körper wiederum sind in die restliche Umwelt eingebettet“ (17)

Über die Autorin:

Jennifer Schmit ist Rehabilitationswissenschaftlerin, Entspannungspädagogin mit dem Schwerpunkt auf traumasensibler Begleitung und WenDo-Trainerin. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in Gruppensettings und der Einzelfallbetreuung setzt sie sich engagiert dafür ein, Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit zu unterstützen.

Sie ist überzeugt, dass es keine universelle Lösung für alle gibt. Daher legt sie großen Wert darauf, ein sicheres und fehlerfreundliches Lernumfeld zu schaffen, in dem Menschen ihre Stärken entdecken und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten entfalten können. Ihre angewandten Methoden basieren auf dem Ansatz, dass Geist und Körper eine untrennbare funktionale Einheit bilden, um potenzielle Veränderungen nachhaltig integrieren zu können.

In ihrer Rolle als WenDo-Trainerin bietet Jennifer Kurse zur feministischen Selbstbehauptung und Selbstverteidigung an. Diese Kurse richten sich an Frauen und Mädchen (sowie FLINTA- und MINTA-Personen) und zielen darauf ab, ihnen zu einer gesunden Abgrenzungsfähigkeit und mehr Selbstbestimmung zu verhelfen.

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