Systemische Fragestellungen in der Traumapädagogik – Die Kunst, mit Haltung zu fragen
„Das Leben besteht nicht darin, gute Antworten zu haben, sondern gute Fragen zu stellen.“ – Yogi Berra
In der pädagogischen und beratenden Arbeit sind Fragen weit mehr als Werkzeuge zur Informationsgewinnung. Sie sind Ausdruck einer Haltung. Insbesondere in der Verbindung von systemischem Denken und traumapädagogischem Handeln wird deutlich: Wie wir fragen, entscheidet darüber, ob sich Menschen öffnen oder verschließen, ob sie sich verstanden oder erneut bewertet fühlen.
Fragen als Ausdruck einer inneren Haltung
Systemische Fragen entstehen nicht aus einem Wunsch nach Kontrolle, sondern aus echtem Interesse. Sie laden zur Selbstreflexion ein und ermöglichen neue Perspektiven. In der systemischen Haltung ist jede Frage ein Angebot – kein Verhör, kein Test, kein Weg zur richtigen Antwort, sondern ein Versuch, Verstehen zu ermöglichen.
In der traumapädagogischen Arbeit bedeutet dies, Fragen so zu stellen, dass sie Sicherheit, Selbstwirksamkeit und Würde fördern. Wer Trauma kennt, weiß: Viele Menschen haben gelernt, dass Fragen Gefahr bedeuten – dass Nachfragen, Bewertungen oder Deutungen mit Scham, Kontrolle oder Ohnmacht verbunden sind. Systemische Fragestellungen, die in einer traumasensiblen Haltung verankert sind, können hier heilend wirken.
Der gute Grund als Kern der Haltung
Der Gedanke des „guten Grundes“ ist eine Brücke zwischen Systemik und Traumapädagogik. Er lädt dazu ein, Verhalten nicht zu pathologisieren, sondern zu verstehen. Statt „Was stimmt nicht mit dir?“ fragen wir:
„Was ist dir passiert?“
„Wofür war dieses Verhalten einmal wichtig?“
„Wie hat dir diese Strategie vielleicht geholfen, zu überleben?“
Diese Perspektive würdigt das, was Menschen getan haben, um mit etwas Schwerem umzugehen. Sie lenkt den Blick weg vom Defizit und hin zur Funktion des Verhaltens im damaligen Kontext. Eine solche Haltung verändert nicht nur die Beziehung zu Klient:innen, sondern auch die innere Haltung der Fachkraft – von Bewertung hin zu Mitgefühl und Neugier.
Systemische Fragen mit traumapädagogischer Sensibilität
Einige systemische Frageformen lassen sich in der Traumapädagogik besonders gewinnbringend einsetzen, wenn sie mit Achtsamkeit gestellt werden:
- Zirkuläre Fragen:
„Wie glaubst du, sieht deine Freundin dich, wenn du dich so verhältst?“
– fördern Perspektivwechsel, ohne zu konfrontieren, und regen zur sozialen Selbstwahrnehmung an. - Ressourcenorientierte Fragen:
„Wann war es schon einmal ein kleines bisschen leichter?“
– stärken Selbstwirksamkeit und Vertrauen in eigene Fähigkeiten. - Hypothetische Fragen:
„Wie wäre es, wenn du dich sicher genug fühlen würdest, das anders zu machen?“
– eröffnen Möglichkeitsräume und nehmen Druck aus der Gegenwart. - Verstehensfragen:
„Was müsste ich wissen, um dein Verhalten besser verstehen zu können?“
– signalisieren Respekt und stellen die Fachkraft auf die Seite der Klientin.
Diese Fragen sind keine Technik, sondern Ausdruck einer grundlegend traumasensiblen Haltung: vorsichtig, respektvoll, anerkennend.
Vom Wissen zum Spüren – die Haltung entscheidet
Die größte Wirkung systemischer Fragestellungen entfaltet sich nicht durch methodische Perfektion, sondern durch die Haltung, aus der sie entstehen. Eine traumapädagogisch-systemische Haltung bedeutet, Fragen zu stellen, die Beziehung statt Distanz schaffen, Bedeutung statt Bewertung ermöglichen und Möglichkeit statt Macht eröffnen.
Wer mit der Haltung des guten Grundes fragt, erkennt: Hinter jedem Verhalten steht ein Versuch, etwas zu regulieren, zu schützen oder zu überleben. Und manchmal braucht es nur eine gute Frage, um diesen Sinn sichtbar zu machen.
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Diana Steen
Geschäftsführerin von Traumastudio und Expertin für Traumaarbeit
Sie ist Gründungsmitglied des DVIT & von ‚Kinder in die Kraft e.V.‘. & Lizenzinhaberin für F.I.T ®.
Als erfahrene Traumapädagogin, EMDR-Coachin, systemische Therapeutin und Diplom Sozialarbeiterin & Gesundheitspädagogin bringt sie jahrelange Praxis in Beratung, Supervision & sozialen Einrichtungen mit.